Musikermagazin – Stadt Hanau (Hessen) – Sonntagabend, 17.50 Uhr: Die Balkone im Eck Jahnstraße, Hasenpfad, Julius-Leber-Straße füllen sich, Fenster werden geöffnet, Liedblätter rascheln, kollektives Räuspern liegt in der Luft. Um 18 Uhr soll es losgehen, das gemeinschaftliche Singen. Angestimmt und begleitet wird der nachbarschaftliche Flashmob von Astrid und Stefan. Sie haben das Lied ausgesucht, die Tonart angepasst, den Text per Whatsapp rumgeschickt, geben sonntags auch den ersten Impuls – und dann wird zusammen gesungen. Aus den Fenstern, von den Balkons und mit Abstand auch auf der Straße.
Praktisch unvorstellbar in “normalen” Zeiten, doch jetzt eine willkommene Gelegenheit, Zusammenhalt zu beweisen. Ursprünglich stammt die Idee aus Italien, wo Musiker zu einer verabredeten Zeit im ganzen Land auf ihren Balkons ein bestimmtes Lied zum Besten gaben. Deutsche Künstler griffen das auf und initiierten das erste Sonntagskonzert mit der berühmten “Ode an die Freude” – im Beethoven-Jahr eine doppelt gute Wahl.
Zwischen 20 und 30 Sänger seien an der Julius-Leber-Straße immer dabei, schätzt Vivien Franke. Sie und ihr Mann Heiko leben hier, singen kräftig mit und engagieren sich auch sonst. Überhaupt: Die Nachbarschaft sei nicht nur in Corona-Zeiten von starkem Gemeinschaftsgefühl geprägt, sagt Franke, aber jetzt eben besonders. Zusammen haben die Nachbarn schon einiges auf die Beine gestellt – nicht nur den sonntäglichen Gesang, sondern auch die Fertigung von Schutzvisieren. “Wir haben sie mit Laminierfolie und robusten Gummibändern gebastelt und dann jeweils 100 Stück an das Klinikum und das St. Vinzenz-Krankenhaus übergeben.” Dort kam diese sinnvolle Spende sehr gut an, denn nicht nur Mund-Nasen-Schutz und Handschuhe sind hier Mangelware, auch Schutzbrillen werden knapper.
Inzwischen liegen der rührigen Nachbarschaftsgruppe, die auch mit der Initiative “Menschen in Hanau” eng zusammenarbeitet weitere Anfragen vor, etwa aus Seniorenheimen. Vivien Franke betont aber auch hier vor allem die Gemeinschaftsleistung: “Wir haben zusammen überlegt, wie man das umsetzen kann, haben Geld für das Material gesammelt, dann die Visiere gebaut – jeder hat das beigetragen, was er konnte. Ein Teil hat gespendet, ein Teil hat gebastelt.”
Die Corona-Krise zeige, was eine gute Nachbarschaft wert sei, sagt sie. In der Whatsapp-Gruppe gehe es jetzt rund: “Wir kaufen füreinander ein, kümmern uns umeinander. Wenn jemand beispielsweise unter häuslicher Quarantäne steht, werden die Besorgungen erledigt und vor die Tür gestellt.” Auch soziale Kontakte auf Abstand seien jetzt wichtig: Unlängst veranstalteten die Anlieger einen Kaffeeklatsch von Balkon zu Balkon, kamen so miteinander ins Gespräch. Eine Nachbarin, die im Ambulanten Hospizdienst tätig ist, band die engagierte Truppe kurzerhand in eine Aktion ein: Um ihre Kollegen in der Sterbebegleitung, in der Pflege und Betreuung zu unterstützen und zu motivieren, bat sie um Plakate und Karten mit “Dankeschön”-Nachrichten, die nun verteilt werden.
Für Vivien Franke ist das Leben in ihrer Nachbarschaft in Corona-Zeiten noch ein Stück wertvoller geworden: “Wir rücken innerlich noch ein Stück näher zusammen”, sagt die 46-Jährige. Spürbar wird das auch an jedem Abend um 20 Uhr – dann öffnen sich überall die Fenster. Gemeinsames Applaudieren für all jene, die jetzt noch im Arbeitseinsatz sind. “Das alles gibt uns allen Halt und Kraft. Wir wissen: Wir sind nicht allein”, so Franke.
Videos der Straßenkonzerte in der Julius-Leber-Straße sind unter https://hanaudaheim.de/events/strassenmusik zu finden.
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